Lesen Sie den originalen Artikel: Sicherheitskonzept für BOS-Leitstellen
Der Ausfall einer Einsatzleitzentrale, eines Lagezentrums oder einer Rettungsleitstelle würde Polizei- und Rettungskräfte extrem einschränken, vielleicht sogar handlungsunfähig machen; dementsprechend hat die Verfügbarkeit einer BOS-Leitstelle neben dem Schutz von Leib und Leben höchste Priorität, wie es auch in einem entsprechenden Sicherheitskonzept definiert wird.
Redundanzen für BOS-Leitstellen aufbauen
Seit Jahren ist ein Trend hin zu „Kooperativen Leitstellen“ oder auch „Integrierten Leitstellen“ zu verzeichnen. Das Optimierungspotenzial sehen Polizei und Feuerwehr in erster Linie in der Redundanz und somit in der erhöhten Verfügbarkeit. In der Regel läuft es darauf hinaus, dass eine Leitstelle der Polizei als Redundanzstandort für die Feuerwehr dient und umgekehrt. Räumliche Redundanzen gehen einher mit Redundanzen im Bereich der IT- und Kommunikationsinfrastruktur. Das Bedrohungsbild fokussiert sich stark auf Gefahren aus der Umgebung und Ausfall der technischen Infrastruktur. Betrachtet man vertiefend das Bedrohungsbild aus menschlichem Versagen, vielfältigen kriminellen Handlungen interner und externer Personengruppen bis hin zu terroristisch motivierten Angriffen, eröffnet sich ein teils abstraktes Bedrohungsbild, dem ganz konkret mit physischen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen zu begegnen ist.
https://www.sicherheit.info/projekt-re-kommunalisierung-von-sicherheitsleistungen
Viele Städte und Kommunen beobachten intensiv das Geschehen in der Hauptstadt Berlin. Dort nimmt das Projekt „Kooperative Leitstellen Berlin“ Gestalt an: Am Standort der Feuerwehr wird ein Bestandsgebäude modernisiert und mit einem Anbau erweitert, am Standort der Polizei entsteht ein moderner Neubau, in dem bisher über das Stadtgebiet verteilte Dienststellen und Funktionen zusammengefasst werden. Um den unterbrechungsfreien Betrieb beider Leitstellenstandorte sicherzustellen, werden mehrere Redundanzen im Bereich der kommunikationstechnischen Versorgung und umfangreiche physische Objektschutzmaßnahmen eingerichtet. In der Zusammenarbeit von Polizei, Feuerwehr, den beratenden Unternehmen und dem Generalplaner wurden Maßstäbe gesetzt, die bereits jetzt Signalwirkung auf andere Leitstellenprojekte haben.
Das Bedrohungsbild – abstrakte und konkrete Gefahren
Wer von Modernisierung oder dem Neubau einer Leitstelle spricht, denkt sofort an die „Leitstellen Norm DIN EN 50518“. Allerdings wird oft vergessen, dass die Norm lediglich Mindestanforderungen formuliert. Ob sie geeignet ist, als Grundlage für die Sicherheit einer BOS-Leitstelle oder gar eines Lagezentrums der Polizei einer deutschen Großstadt zu dienen, ist fraglich. Bedenkt man, wie oft die Norm bereits überarbeitet wurde, kann daraus abgeleitet werden, dass auch die derzeitige Version lediglich als Leitfaden dienen kann.
Bereits in Zeiten der RAF, also bis in die späten 80er-Jahre, wurden Sicherheitszentralen gebaut, die weit über heutige Anforderungen der DIN EN 50518 hinausgingen. Beschusssicherheit, Sprengwirkungshemmung, Schleusen, Redundanzen, konsequente Betriebskonzepte und so weiter waren – zumindest in sensiblen Wirtschaftzweigen – obligatorisch und fester Bestandteil einer Sicherheitsleitstelle. Das Bedrohungsbild hat sich verändert. Heute sind es Bedrohungen wie Organisierte Kriminalität, Gewaltkriminalität, Fundamentalismus, Extremismus bis hin zum internationalen Terrorismus, sogar Staatsterrorismus, politischer und sozialer Radikalismus, ethnische und religiöse Auseinandersetzungen, denen es zu begegnen gilt. Die besondere Herausforderung liegt nun darin, die Auswirkungen auf BOS-Leitstellen herauszuarbeiten und dabei mit dem Blick in die Zukunft abstrakt zu denken und daraus wiederum belastbare und nachhaltige Sicherheitsmaßnahmen abzuleiten.
Das Ereignis- und Angriffsszenario
Das allgemeine Bedrohungsbild ist schnell identifiziert: höhere Gewalt oder Gefahren aus der Umgebung, natürliche Ereignisse und menschliches Versagen, kriminelle Handlungen durch Innentäter oder durch Außentäter, Angriffe mit terroristischen Motiven, technisches Versagen, außergewöhnliche Unfälle, Gefahren aus der Umgebung (Lage, Verkehr) und organisatorisches Versagen. Hinter jeder dieser Bedrohungsgruppen steht aber noch eine Vielzahl unterschiedlichster und teils abstrakter Ereignis- und Angriffsszenarien. Konfuzius sagte einmal: „Der Mensch stolpert nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel“. Im Fall der BOS-Leitstellen in Berlin wurde ein solches Ereignis- und Angriffsszenario entworfen und gemeinsam mit der Projektgruppe aus Vertretern der Polizei und der Feuerwehr bewertet. Das Ergebnis wurde durch begleitende Dienste geprüft und durch übergeordnete Stellen verabschiedet. Darauf aufbauend, wurden im Rahmen eines umfassenden Sicherheitslastenheftes wirkungsvolle und nachhaltige Sicherheitsmaßnahmen bestimmt.
Risikobewertung reicht bei der Erstellung eines Sicherheitskonzeptes nicht aus
Die klassische Risikobewertung nach dem Modell der „Auftretenswahrscheinlich“ und „Ausmaß des Schadens“ reichten für die Bestimmung der operativen Sicherheitsmaßnahmen und des individuellen Schutzwertes allerdings nicht aus. Erst die Kenngröße „Entdeckungswahrscheinlichkeit“ ermöglichte es, den individuellen Schutzwert der baulichen und technischen Sicherheitsmaßnahmen und damit den Wertbeitrag zur Kernanforderung „99,99 Prozent Verfügbarkeit“ nachweislich zu belegen. Dem Prinzip folgend, dass einer „Abweichung vom Sollzustand“ zwingend eine korrespondierende Intervention folgen muss, wurde dem Prinzip „Prävention-Detektion-Intervention“ größte Bedeutung beigemessen. In Folge wurden besonders kostenintensive Lösungsansätze kritisch hinterfragt und mit gleichem Schutzwert teils durch kompensierende und kostengünstigere Sicherheitsmaßnahmen ersetzt.
Schutzwert und Investition sichern
Mit vorausschauendem Blick wurde erkannt, dass die Verfügbarkeit der Leitstellen nur mit einem Betriebskonzept beziehungsweise einem Sicherheitsorganisationshandbuch sichergestellt werden kann. Auch in dieser Hinsicht werden neue Wege beschritten. Annähernd in Frage kommende Dienstanweisungen werden auf Aktualität geprüft, mit den klassischen objektschutzrelevanten Sicherheitsprozessen eines Business Continutiy Managements (BCM) abgeglichen und/oder neu entwickelt. Dabei werden über individuelle technische und funktionale Schnittstellen das technische Betriebskonzept und das Security-Betriebskonzept im Sinne eines ganzheitlich wirkenden Sicherheitsmanagements verknüpft.
Volker Kraiss, Sicherheitsberater, Kraiss Wilke & Kollegen
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